Frankfurter Rundschau | 25.08.2023 | Politik
Die libanesische Hauptstadt ist extrem stark von Luftverschmutzung belastet. Durch den Klimawandel und eine untätige Politik nehmen Atemwegserkrankungen rapide zu.
Während die Welt mit den höchsten globalen Temperaturen in der modernen Geschichte ringt, bereitet sich auch die libanesische Hauptstadt Beirut auf eine Hitzewelle vor. Bei Spitzenwerten der Luftfeuchtigkeit um die 100 Prozent, klebt die Luft auf der Haut und die Lungen schnüren sich zusammen. Wenn das Thermometer 30 Grad Celsius anzeigt, liegt die gefühlte Temperatur dort vielmehr bei 40 Grad Celsius.
Doch das Schlimmste ist vielleicht nicht die Hitze, sondern die Umweltverschmutzung – vor allem die Feinstaubpartikel, die in der hohen Luftfeuchtigkeit gefangen werden. „Ich habe mir Asthma zugezogen, nur weil ich diesen Sommer anderthalb Monate im Libanon geblieben bin“, empört sich Noura Bakkar, eine junge Libanesin, die in Frankreich lebt. „Ich bin viel durch die Straßen von Beirut gelaufen und habe wirklich gespürt, dass mich das Klima schlichtweg ersticken lässt“, erklärt sie. Schuld daran sind unter anderem die privaten Stromgeneratoren, kleine, aber laute Motoren, die Benzin verbrennen, um Strom zu liefern und die in Beirut viel genutzt werden.
Aufgrund der Wirtschaftskrise seit dem Winter 2019 ist die öffentliche Versorgung durch das Versorgungsunternehmen Électricité du Liban zusammengebrochen: Die Firma kann nur noch vier Stunden Strom pro Tag liefern. Von einem Luxusprodukt, das den wohlhabendsten Bewohnern und Bewohnerinnen vorbehalten war, sind privat gekaufte Generatoren daher für die meisten Libanesen zum Alltag geworden. Heute schnurren allein in Beirut mindestens 9.000 von ihnen fast rund um die Uhr – sodass ein schwarzer Staub aus Feinpartikeln sich überall absetzt, bis in die Lungen.
„Die Katastrophe ist darauf zurückzuführen, dass sie Schweröl verbrennen, das extrem giftig ist“, erklärt Najat Saliba, Umweltforscherin, Aktivistin und Professorin für Chemie an der American University Beirut. Sie ist auch Oppositionsabgeordnete im libanesischen Parlament. Vor allem aber setzt der Rauch große Mengen an Feinstaub frei, der sich mit dem Blut vermischt und den Körper vergiften: Seit Beginn der Krise soll die Übernutzung der Generatoren jährlich zu etwa 3 000 Lungenerkrankungen, 500 Krebsfällen und 800 Millionen Dollar an zusätzlichen Gesundheitskosten geführt haben.
Nicht nur die Generatoren, sondern auch der Autoverkehr ist zur Hälfte für die Luftverschmutzung im Land verantwortlich: Seitdem die öffentlichen Verkehrsmittel nach dem Bürgerkrieg von 1975-1990 im Land abgeschafft wurden, sind die Libanesen und Libanesinnen gezwungen, oftmals alternde und umweltschädliche Autos zu benutzen. Hinzu kommen Industriegebiete, Zementfabriken und Müllverbrennungsanlagen. „All das trägt dazu bei, dass der Libanon zu einem der am stärksten verschmutzten Länder des Nahen Ostens geworden ist, obwohl reichlich Meeresluft, Wälder und Berge vorhanden sind“, seufzt Sarah Safieddine, Forschungsbeauftragte am Centre national de la recherche scientifique an der Universität Sorbonne in Paris.
Laut einem Bericht des regionalen Zweigs von Greenpeace verursacht die Luftverschmutzung im Libanon jedes Jahr Schäden in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar, was etwa 2 Prozent des libanesischen BIP entspricht. Die Zahlen sind alarmierend: Die Feinstaubkonzentration soll sechs- bis sechsunddreißigmal höher sein als von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen. So sehr, dass ein Bericht der Vereinten Nationen 11 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr mit der Luftverschmutzung in Beirut in Verbindung bringt. Darüber hinaus trifft der Klimawandel das Land besonders hart. „Die gesamte Region wird sich um eineinhalb bis drei Grad mehr erwärmen als der Rest der Welt. Der kleine Libanon strahlt fast nichts aus, aber er wird mit voller Wucht getroffen werden“, erklärt Sarah Safieddine. Waldbrände und Dürren sind weitere Folgen des Klimawandels, die sich dort bereits bemerkbar machen. „Viele Tiere und Pflanzen werden verschwinden, ebenso wie die Zedern, für die der Libanon weltberühmt ist“, warnt sie.
Die Wirtschaftskrise, laut Weltbank die schlimmste der Welt seit 1850, spielt eine besonders schwerwiegende Rolle: „Weder der Staat noch die Gesellschaft haben die Mittel, um den Klimawandel und die Umweltverschmutzung zu bekämpfen“, erklärt Vahakn Kabakian, Berater für Klimawandel beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, der mit dem Umweltministerium zusammenarbeitet.
„Die Regierung interessiert sich kaum für Fragen der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt und wird immer von einer wirtschaftlichen oder politischen Agenda geleitet“, kritisiert Sarah Safeddine. Insbesondere in Frage gestellt wird das neoliberale politische System des Landes. „Die Luftverschmutzung ist ein Beispiel für Korruption und Klientelismus, die in allen Bereichen herrschen“, kritisiert ein Mitarbeiter einer großen Umweltschutzorganisation, der anonym bleiben möchte. „Die Energiepolitik wurde in den 90er Jahren in den Händen der Nachkriegseliten liberalisiert und aufgeteilt, wodurch sich die Führer der politischen Parteien bereichern konnten, ohne jemals die Infrastruktur modernisieren zu müssen“.
Das Beispiel der Generatoren spricht für sich. „Anstatt sie durch Normen zu regulieren, machen alle Politiker Gewinne aus der Umweltverschmutzung“, fährt er fort. Etwa 9 Milliarden US-Dollar würden jährlich von der „Generatorenmafia“ und ihren politischen Sponsoren eingenommen. Die Besitzer dieser Motoren entscheiden eigenhändig über die Preise, teilen die Stadtteile und Straßen Beiruts unter sich auf – und üben sogar Gewalt aus, um die Konkurrenz in Schach zu halten und ihr Monopol zu behalten.Mit der Forderung nach Lösungen sind die Libanes:innen auf sich selbst gestellt. Durch den privaten Kauf von Solarzellen oder der Gründung von kleinen Parks versuchen sie etwas Hoffnung zu schöpfen.